Auf der Jagt nach guten Motiven
Eine Fotosafari mit Frau Elbville durch Hamburg
Oktober 2020
Freitag Morgen um Viertel vor Zehn. Heute um Zehn Uhr startet die Fotosafari von Frau Elbville. Zum Glück ist der Treffpunkt nicht weit entfernt. Ich könnte es noch schaffen. Ich trinke meinen Kaffee auf Ex und radel los.
Ich komme fünf Minuten zu spät zu dem vereinbarten Treffpunkt am Brunnen zwischen der Michaeliskirche und dem Gruner+Jahr Gebäude. Die Gruppe steht in einem schönen Kreis und Susanne erzählt etwas.
Susanne Krieg aka Frau Elbville folge ich seit Kurzem auf Instagram. Sie bietet unterschiedliche Fototouren durch Hamburg und erzählt auf ihrem Profil und Blog interessante Geschichten über die Orte, die sie gern fotografiert. Ich finde es sehr spannend, denn Hamburg ist auch mein Thema.
Wer ist Ich? Ich bin Zeichnerin, Wahlhamburgerin und Reportage-Illustratorin, hungrig nach neuen und alten Stories über Hamburg.
Die Gruppe ist recht groß – 11 Personen. Ich freue mich, dass das Angebot so gut ankommt, stelle mich gehetzt dazu, grinse alle an und entschuldige mich für die Verspätung. Susanne übergibt mir ein Papiertütchen. Geschenke! freue ich mich laut. In der Tüte ist eine coole Postkarte mit der Alsterpanorama und der Überschrift „MOIN AMOUR“. Dann noch eine Broschüre mit den Fotoaufgaben und den einzelnen Safarispots und ein Brillenputztuch für die Kameralinse.
Ohne lange Reden gehen wir zu dem ersten Punkt unserer Fototour in der Nähe. Gleich die erste Aufgabe ist eine Herausforderung: Vor dem Gebäude stehen Autos, Mülltonnen und es wird neu bemalt. Es kommt bestimmt jedes Mal irgendetwas dazwischen, überlege ich. Heute sind es Malerarbeiten und die streikende Müllabfuhr.
Susanne lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Erzählt eine kurze Geschichte des Baus, während wir versuchen, die weiteste Entfernung zwischen den parkenden Autos zu finden, um unser Foto zu machen. Sie erklärt uns anschließend, wie wir mit einer App die nach oben sich verjüngenden Linien der Silhouette wieder begradigen. Sie ist fröhlich und gelassen. Das steckt an.
Wir gehen zu dem nächsten Spot unter der U3-Brücke am Baumwall. Sie erzählt, warum sie die Touren nicht am Wochenende durchführt: Es ist nämlich viel zu voll und zu laut. Unmöglich, etwas zu erklären, oder eine freie Sicht auf ein Motiv zu haben. Mir fällt auf, wie ungewohnt entspannt es gerade auf den Landungsbrücken zugeht. Sie hat recht. Ich lausche aufmerksam und beobachte die konzentrierten Teilnehmerinnen. Mit unserem synchronen Gruppenknipsen erinnern wir mich etwas an japanische Touristen. Ich fange an zu notieren, denn bei mir im Kopf entsteht langsam die Idee zu einer Reportage.
„Versucht doch mal bekannte Gebäude aus einer anderen Perspektive zu fotografieren. Vielleicht läuft jemand mit einem Regenschirm durchs Bild. Dann entsteht ein interessanter Farbtupfen.“ notiere ich mir.
Wir gehen an der Elbe entlang, weiter Richtung Speicherstadt. Ich tippe konzentriert in meine Notizen-App. Die große Gruppe, die ich aus dem Augenwinkel sehe, hilft mir, die Richtung und die Geschwindigkeit beizubehalten. „Ich liebe diesen Kaffeegeruch“ schnappe ich plötzlich auf. Ich hebe meine Nase und merke es plötzlich auch. Ein warmer Geruch frisch gerösteter Kaffeebohnen. Ich fange an, auf Gerüche und Geräusche zu achten. Ein Pappbecher poltert zwischen uns hindurch. Die Glocken der Michaeliskirche schlagen monoton. Autos hupen. Die vorbeifahrende Bahn. Gespräche der Gruppenteilnehmer:innen. Es wird immer mehr. Susanne zeigt uns viele Details, die man für ein außergewöhnliches Foto verwenden kann, macht uns aufmerksam auf Kleinigkeiten.
In der Deichstrasse, vor einem Lädchen mit dem Schild „Kolonialwaren“ bleiben wir stehen. Wir erfahren von dem Kemm’schen braunen Kuchen, einem Keks, der in Hamburg Kuchen heisst. Ich grüble, wie man heute noch mit gutem Gewissen einen Laden führen kann, über dem „Kolonialwaren“ steht? Dann werde ich aber wieder abgelenkt, denn eine Teilnehmerin erzählt von einem Brauch aus ihrer Kindheit, den Braunen Kuchen auf einen Brot mit Salzbutter zu essen. Dinge gibt’s! Wir gehen weiter. Es entsteht eine Diskussion darüber, welche die echten Kemm’schen braunen Kuchen sind und wo man sie bekommt. Dann noch, in welcher Bäckerei es die besten Franzbrötchen gibt.
St. Annen Brücke. Ein hübscher junger Simson-Faherer schaut mir auf der Kreuzung in die Augen. Fühle mich alt. Neben ihm, ein SUV-Fahrer. Fahre sofort meine Vorurteile hoch, um mich von dem hübschen Typen abzulenken und schaue böse den SUV Fahrer an. Ein Elektroscooter im Schlamm der Ebbe. Zwei Enten.
Holländisch-Brookflet-Brücke. Das berühmte Wasserschloss, das eigentlich gar kein Schloss ist, von der unberühmten Seite. Susanne erzählt die Geschichte des Baus. Ich bin müde und fotografiere meinen grauen Schuh auf dem graumelierten Asphalt. Das entspannt mich etwas.
Noch ein Scooter unter der Wandrahmbrücke. Wir sind am Messberg angekommen. Bin glücklich und erschöpft. Obwohl schon zwanzig Jahre in Hamburg, kann ich mich nicht satt hören an den Geschichten dieser Stadt.
Rückweg zu Fuß, zurück zum Michel. Alles nochmal Revue passieren. Veränderungen notieren. Was ich noch übersehen habe. Aus einem Pfahl im Wasser wächst eine Birke. Eine Oldenburger Schiffszollwache steht vor dem deutschen Zollmuseum. Betrunkene Männer um 13:30 Uhr, die nach meiner Aufmerksamkeit suchen. Merke, dass die Tour meine Wahrnehmung verändert hat. Kleinigkeiten werden sichtbar. Mir wachsen förmlich neue Augen und die Stadt bekommt neue Facetten.
Am Ende ein Geschenk in meinem Fahrradkorb: Eine leere Astraflasche mit noch etwas Bier drin. Stelle sie auf die Treppe daneben und freue mich auch darüber.
Weitere Infos über Fotosafaris von Frau Elbville findest Du unter www.hamburg-companion.com
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